(SM) Sollten mich zu dieser, von mannigfaltigen Veränderungen der Gesellschaft und deren Lebensweise geprägten Epoche unserer Zeitrechnung, in vielen Jahren mal meine Enkel fragen, „Opa, was ist eigentlich Kreisliga?“, ich würde wahrscheinlich wie folgt beginnen:
Es war ein lausig kalter Mittwochabend im November bei klarem Himmel und hellem Mondschein auf einem der letzten großen Tennenplätze in unserer Stadt. Tenne, das ist ein rotbräunlicher Sportplatzbelag aus Ziegelmehl, Asche und Schlacke, der vor 100 Jahren, nach dem Krieg verwendet wurde, um schnell und kostengünstig zahlreiche Fußballplätze zu bauen. Heute, gibt es die nicht mehr. Das Flutlicht beleuchtete bereits als wir ankamen das riesengroße Spielfeld, auf dem 20 Minuten vor Anpfiff mit einem altersschwachen Kreidewagen dünne Spielfeldmarkierungen aufgetragen wurden. Unsere Mannschaft, die damals nach einer schwierigen Phase ganz unten in der Tabelle stand und das Spiel unbedingt gewinnen wollte, hatte sich gerade knapp 30 Minuten warmgelaufen. Der Schiedsrichter erschien 2 Minuten vor Anpfiff und dann ging es auch schon los…
So, genug Kreisligaromantik würde ich sagen, Opa bin ich höchstwahrscheinlich auch noch nicht, daher habe ich ja noch ein wenig Zeit um zu üben!
Dennoch stand die Nachholpartie gegen den Tabellenneunten vor dem Hintergrund der geschilderten Rahmenbedingungen sinnbildlich für das, wofür wir die Kreisliga kennen und manche wohl auch lieben.
Genau 17 Tage lagen zwischen dem, aus Gründen einer schweren Verletzung eines kroatischen Spielers, abgebrochenen Ligaspiel NK Croatia gegen Sennes Riserva. 17 Tage, die die Verhältnisse beim annodazumal Tabellenvorletzten auf den Kopf gestellt haben. Den vor knapp drei Wochen eingeschlagenen Weg in eine bessere Zeit hat die Zwote konsequent fortgesetzt und sich vom B-Liga-Fallobst zu einer mehr als ernst zu nehmenden Mannschaft gemausert. Würde man das Nachholspiel gewinnen, konnte man direkt und auf einen Punkt an den Gegner herankommen. Auch der Kader der Riserva ist seit dem Startschuss vor drei Wochen in eine neue Zeitrechnung übergegangen. Mit Marcel Landgraf kehrte ein „verlorener Sohn“ des einst berüchtigten Senner 92er Jahrganges, der auf Anhieb 2011/12 den A-Ligaaufstieg erstritt, in den Kader eines Senner Teams zurück – auch das ist eben Kreisliga!
Das Verantwortlichentrio Rott-Terveer-Mahne musste auf den rotgesperrten Burhan Tokman sowie auf Kris Naporra und Mert Can Kilic aus dem Kader des vorangegangenen Sonntags verzichten. Neben Landgraf schlossen Felix Scharf und erneut Malte Hawerkamp die entstandenen Lücken. In der Startaufstellung rückte Hawerkamp zusammen mit Alexander Klimusch vor Keeper Terveer in die Innenverteidigung. Felix Scharf erhielt als Außenverteidiger den Vorzug vor dem am Sonntag stark und fehlerfrei aufspielenden Jan Hendrik Rüter, rechtfertigte seine Aufstellung aber mit einer tadellosen Defensivleistung. Ein weiteres Mal in blendender Form präsentierte sich Außenverteidiger Ivo Dalhoff, der sich mit zunehmendem Selbstvertrauen auch in die Offensivaktionen seiner Mannschaft mit einschaltete. Zunächst mit klarem Defensivauftrag ausgestattet, liefen Flori Helmke und Lukas Hentschel auf der Sechs auf und hatten im ersten Durchgang auf dem ungewohnten Geläuf gegen körperlich robuste Gegenspieler keinen leichten Stand. Das legendäre Comeback von Marcel Landgraf auf dem rechten Senner Flügel lockte sogar dessen Eltern und treuesten Fans auf den Milser Sportplatz, von hier aus herzliche Grüße! Einer derjenigen, die zur Zeit den Unterschied ausmachen, war einmal mehr „Maschine“ Tom Friedrich. Tom war einer der Akteure, die selbst in den dunkelsten Momenten der zurückliegenden Monate jederzeit zum Tem gestanden und durch Präsenz ein Zeichen gesetzt haben. Dafür gebührt dem 22-jährigen ein sehr herzliches „Chapeau“ meinerseits, auch in diesem Spiel sollte Friedrich seine Wichtigkeit für das Team unterstreichen können. Spielertrainer Franky Rott und „Silencer“ Marc Wittler komplettierten das Team als offensives Duo. Mit der eher „gröberen Kelle“ Jonathan Vogt, „Balkan-Bomber“ Mirko Cacic, Jan Hendrik Rüter und Marcel Schmidt standen außerdem Alternativen zur Verfügung, um jederzeit auf sich stellende Herausforderungen reagieren zu können.
Die Auf- und Einstellung des Senner Teams erwies sich vor dem Hintergrund der Gegneranalyse und den gesammelten Erfahrungen als folgerichtig. Das Team von NK Croatia drückte der Partie im ersten Drittel ganz klar seinen Stempel auf und profitierte zudem von vielen kleinlichen Pfiffen gegen die Riserva sowie einer eher großzügigen Haltung des Unparteiischen bei augenscheinlichen Vergehen der Gastgeber. Hinten sicher stehen, Hohe Bälle des Gegners aus dem Zentrum in die Spitze verhindern und vor allem geduldig sein hieß es für die Waldbadkicker im ersten Durchgang. Croatia war zunächst das bessere Team und profitierte von vielen kleinen Ballverlusten und Fehlpässen, die einen geordneten Spielaufbau der Senner zunächst deutlich erschwerten. Aber die Gastgeber machten aus ihrer augenscheinlichen Spielkontrolle insgesamt viel zu wenig, was aber auch an der soliden Abwehrarbeit mit kleinen Schönheitsfehlern von Klimusch, Hawerkamp, Scharf und Dalhoff lag. Der Tabellenneunte verzeichnete insgesamt deutliche Vorteile in der Zweikampfstatistik sowie bei zweiten Bällen, die aufgrund der eher halbhoch bis hoch angelegten Spielweise beider Teams zahlreich waren. Knapp wurde es, als die Gastgeber um die 20. Spielminute einen Freistoß an der rechten Sechzehnerkante unentdeckt auf zentralhalbrechts zurücklegen und der folgende Torschlenzer nur knapp am langen Eck des Gehäuses von Sven Terveer vorbeifliegt. Senne war kurz zuvor zu seiner ersten guten Torchance gekommen, als Frank Rott Tom Friedrich über links schickt und Marcel Landgraf in der Mitte einlaufend die gute Hereingabe nur um wenige Zentimeter mit dem Kopf verfehlt.
Als sich die Waldbadkicker zum zweiten Mal ernsthaft in Richtung Heimtor orientieren, soll es auch direkt klingeln. Bei der eigentlich ersten gelungenen Kombination der Senner in der Zentrale meistert Marc Wittler um die 20. Minute herum den entscheidenden Pass auf Mr. Zuverlässig, Tom Friedrich. Der entkommt mit gezündetem Nachbrenner seinem Gegenspieler und dringt von halblinks kommend in den Sechzehner ein und nimmt in relativ scharfem Winkel Kurs aufs Tor. Im Zentrum ist zwar ein Senner mitgelaufen, aber Friedrich entscheidet sich selbstbewußt für den eigenen Torabschluss und nutzt die vorm Torhüter geöffnete kurze Ecke für die zu diesem Zeitpunkt schmeichelhafte aber sehr wichtige Führung. Wenige Minuten nach der Senner Führung kommen die Gastgeber durch einen unvermittelten Lattentreffer aus 25 Metern und einer daraufhin folgenden, dramatischen Torraumszene zur wohl besten eigenen Gelegenheit der Partie, doch Klimusch, Terveer, Hawerkamp und Scharf können den Ausgleich mit ein wenig Fortune verhindern. Ab der 30. Spielminute bauen die Gastgeber etwas ab, während sich die Riserva an Platz und kleinliche Pfiffe gewöhnt hat. Das Match wird ausgeglichener, auch weil die Senner Zentrale um den ackernden Helmke und den minütlich besser werdenden Lukas Hentschel mehr Zugriff bekommt. Im Resultat steht ein deutliches Plus an Senner Offensivaktionen über Friedrich und Landgraf. Tom Friedrich verpasst einen weiteren Treffer über seine Seite kommend nur knapp, Marc Wittler vergibt die bis dato größte Torchance, als er einen ins Zentrum abgewehrten Ball in der 44. Spielminute nicht im Tor unterbringen kann und aus 16 Metern knapp am Tor vorbeischießt.
Mit der nunmehr verdienten Führung geht es in die Pause. Die Senner Mannschaft schwört sich kurz auf die Gangart für die zweiten Fünfundvierzig ein. Je länger die Partie dauern würde, desto wahrscheinlicher würden Senner Tore.
Fünf Minuten nach Wiederanpfiff verlässt der mit einigen muskulären Problemen kämpfende Wittler für „Balkan-Bomber“ Cacic das Kieselrot, und Cacic sollte seinem jüngst erworbenen Pseudonym in mehrfacher Hinsicht gerecht werden, also „Bomber“… Der langhaarige Standardspezialist (Haarband ist deutlich angezeigt!) braucht nur kurz, um sich in der Zentrale mit Hentschel, Helmke und den in die Offensive verschiebenden Frank Rott zu synchronisieren. 10 Minuten nach Einwechselung spielt Cacic einen weiten Flugball auf den zentral in Richtung Tor wegstartenden Frank Rott, der den herauskommenden Torwart kurz irritiert, soadass dieser die auftrumpfende Kugel nicht abwehren kann. Der Ball springt am Keeper vorbei (oder andersherum) und rollt dann letzten Endes nicht mehr einholbar über die Linie zum 2:0. Damit ist die Vorentscheidung gefallen, die Gastgeber bringen allenfalls noch Stückwerk mit eher unkoordinierten weiten Bällen zustande, sodass die kompromisslos agierende Abwehr mit dem sich mehr und mehr in die Offensive einschaltenden, starken Ivo Dalhoff, Terveer im Senner Tor einen zusehends ruhigen Restabend bescherrt. Das in den 2010er Jahren erfolgreiche Arminia-III-Landesliga-Duo um Cacic und Rott diktiert mit dem so wertvollen und mannschaftsdienlich agierenden Flori Helmke zusehndes die Senner Spielweise, sodass es gefährlich eigentlich nur noch in eine Richtung geht. Keine zehn Minuten nach dem so wichtigen 2:0 wird Lukas Hentschel in knapp 30 Meter Torentfernung in leicht linker Position gefoult und es folgt eine weitere Episode „zwischen Genie und Wahnsinn“ mit Mirko Cacic. Der „Balkan-Bomber“ vom Waldbad nimmt sich das Leder und wichst die Kugel wie einen Strich, zugegeben – nicht völlig unhaltbar, in den rechten Knick, sodass das Tornetz nur noch „Flatsch“ sagen kann. Jeder, der das in wenigen Tagen 31 Jahre alt werdende „Enfant terrible“ des Senner Klüngels kennt, kann nicht umhin, die Szene mit einem leichten Schmunzler und dem Gedanken, „er hats mal wieder gebracht“, zu quittieren. Das 3:0 ist die Entscheidung, Marcel Landgraf darf das Feld nach 68 Minuten unter dem Jubel der frierenden Senner Anhängerschaft verlassen, für Landgraf komplettiert die „gröbere Kelle“, Joni Vogt das Team und kann von Beginn an Akzente setzen. Die Senner spielen sich nun an diesem unwirtlichen Mittwochabend in einen kleinen Rausch, lassen das Spielgerät teils sehenswert laufen und kommen zu weiteren hochkarätigen Gelegenheiten. Tom Friedrich, Frank Rott und nochmal Mirko Cacic haben aussichtsreiche Versuche für weitere Tore, während Klimuschs und Hentschels Versuche aus der zweiten Reihe über das Gehäuse gehen. Malte Hawerkamp klärt jeden Versuch der Gastgeber in Richtung Senner Tor zu kommen, humorlos heraus, sodass es Jonathan Vogt ist, der sich in der 85. Spielminute für seinen Einsatz belohnt und alleine auf das Tor entkommend, souverän zum 4:0 einschießt. Der Schiedsrichter sah keinen Anlass, über die regulären 90 Minuten hinaus auf dem Geläuf zu verweilen, sodass sich die Riserva um viertel nach neun über den dritten Dreier in Folge freuen, und ein wenig aufatmen darf.
Ein 4:0 bei NK Croatia ist immer ein Statement einer Mannschaft! Wer dieses unbequem zu bespielende Team, dessen Spielweise auf dem riesengroßen Ascheplatz zu Milse (den wir gemäß der Presseartikel von vor ein paar Wochen zum letzten Mal gesehen haben dürften) und die hitzigen Spielverläufe kennt, der weiß das und kann das insbesondere vor dem Hintergrund eines Flutlichspiels an einem Mittwochabend einschätzen. Die Riserva hat sich in den zurückliegenden knapp drei Wochen sukzessive aus der Krise gearbeitet – das sieht man auch daran, dass die Neigung zum Verweilen nach dem sportlichen Programm wieder merklich zunimmt. Ohne das überbewerten zu wollen, liegt auch hierin ein Schlüssel zu mannschaftlicher Geschlossenheit auf dem Platz. Den Zusammenhalt im gesamten Senner Seniorenfußball zu stärken ist Leitungsaufgabe, aber auch die Akteure müssen ihren Beitrag dazu leisten. Daher der Dank an die Jungs vom Waldbadexpress und Larsi Trapp, die am Mittwochabend den Weg nach Milse gefunden und die Zwote supportet haben! Innerhalb des inzwischen annähernd um 50% vergrößerten Kaders gilt es nun, für alle Aktiven sich trotz Frusterlebnissen nicht zurückzuziehen, sondern mit der Mannschaft den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Die schwere, zurückliegende Zeit beschreibt das Gegenteil des Status Quo und die enorme Wichtigkeit eines jeden einzelnen. Daher freue ich mich ganz persönlich auch auf eine etwaige Rückkehr von Lars Trapp, Fabio Schiprowski und „Speedster“ Alex Schulze in die Reihen unseres Teams – Ihr seid wichtig und gehört dazu!
Am Sonntag beschließt die Riserva um 13:30 Uhr die Englische Woche im Duell gegen die Drittvertretung aus Peckeloh. Die Gäste aus dem Altkreis haben zuletzt durch zwei Siege auf sich aufmerksam gemacht und sollten daher keinesfalls unterschätzt werden. Das Senner Publikum sei auf diesem Wege recht herzlich in unser „Wohnzimmer“ am Waldbad eingeladen!
Dialog des Abends (feat. Flo Helmke und Mirko Cacic):
Helmke: Das war so typisch Kreisliga!
Cacic: Ja, am Ende kommt der Dicke auf’n Platz und macht das Tor!
Man of the Match: Tom Friedrich
Bis Sonntag;-)