Wow! Auch in der persönlichen Nachbetrachtung des Spiels fällt es einzelnen Akteuren noch immer nicht leicht, die eigenen Gedanken zu ordnen und die gut 95 gespielten Minuten zu verarbeiten. Eine unfassbar starke kämpferische Leistung lässt den Spitzenreiter FC Türk Sport Bielefeld, der bereits Ende September in der zweiten Runde des Kreispokals am Waldbadexpress gescheitert war, auch im Ligageschehen in der bpi-Arena verzweifeln. In numerischer Unterzahl knüpften die Hausherren dem klaren Favoriten beim 1:1-Remis einen Zähler ab und bleiben damit gleichzeitig im zehnten Pflichtspiel in Serie ungeschlagen.
Aber alles der Reihe nach. Eine ordentliche Trainingswoche, die unter der Führung von Co-Trainer Christian Lyko stand, endete mit dem feierlichen Einstand der Neuzugänge am Donnerstagabend in einer bekannten Bielefelder Szene-Diskothek. Drei Tage später fand man sich in der Kabine zur konzentrierten Vorbesprechung des 13. Spieltags wieder. Spätestens mit dem Überstreifen der blauen Jerseys waren die Feierlichkeiten vergessen und der Fokus lag deutlich spürbar auf der Aufgabe, der man sich an diesem Sonntag stellen musste. Mit dem FC Türk Sport Bielefeld reiste niemand geringeres als der Tabellenführer an, dem es ein Bein zu stellen galt.
Chef-Trainer Mike Wahsner, der unter der Woche noch krankheitsbedingt das Bett hüten musste, hatte eine klare Idee davon, wie man dieses Vorhaben in die Tat umsetzen wolle. Die spielstarken Gäste sollten mit hohem Offensivpressing und einer hautengen Manndeckung keine Möglichkeit zur Entfaltung der eigenen Klasse haben. Hinzu kommt die geforderte, permanente Aufmerksamkeit im Spiel mit und gegen den Ball. Mit Blick auf die erste Elf änderte sich wenig im Vergleich zum deutlichen 6:1-Vorwochenerfolg über SW Sende. Während Felix Winkler in sicherer Manier das eigene Gehäuse hütete, bildeten Massimo Zanghi, Gian-Luca Linstromberg, Stefan Dopheide und Marcel Landgraf die angestammte Abwehrreihe. Im Mittelfeld begannen mit Cem Beyer, Ole Gruner, Michel Dennin und Matthes Schwabedissen vier Akteure, die allesamt ein enormes Laufpensum haben abspulen müssen. Mit Philipp Schlegel rückte ein pfeilschneller Akteur neben Spielführer Malte Gruner in die Spitze.
Beide Parteien schenkten sich mit dem Anpfiff zum bisher vielleicht kräftezehrendsten Spiel der Saison von Beginn an keinen Zentimeter des tiefen Senner Rasens. Vor den mehr als 200 Zuschauern geht der Plan der Senner Elf in den ersten 45 Minuten mehr als auf. Eine taktisch disziplinierte Leistung lässt die kombinationssicheren Gäste, die mit starken Individualisten und gepflegtem Offensivfußball durchaus zu überzeugen wissen, mit ihren Angriffsversuchen jeweils im letzten Drittel vor dem Senner Tor scheitern. Der Waldbadexpress hingegen schafft es im Laufe des ersten Abschnitts immer öfter, Tempogegenstöße über Matthes Schwabedissen, der seinem Gegenspieler in Puncto Geschwindigkeit eine Klasse überlegen ist, zu initiieren. Bis auf ein wohl zurecht zurück gepfiffenes Abseitstor der Gäste, bleiben 100%-ige Torchancen oder etwaige Hochkaräter eher Mangelware, was allerdings die Leistung der 22 Akteure nicht schmälern soll.
In der 15-minütigen Ruhepause heißt es nun runterkommen, Gedanken ordnen, durchschnaufen und noch einmal alle Kraftreserven bündeln, um dem drohenden Sturmlauf des Spitzenreiters gewappnet zu sein. Es heißt sich für eine bis dato in sämtlichen Punkten einwandfreie Leistung zu belohnen. Während sich am Spiel der Senner in Durchgang zwei nichts ändern soll, ändern die Mannen vom Kupferhammer ihr System mit zwei Spielerwechseln.
Die Minuten 45-95 hielten alles, was man sich von einem rassigen, spannenden Nachbarschaftsduell in der Bezirksliga wünschen kann. Bis Minute 60 bleibt das Spielgeschehen identisch zu dem bisher gesehenen. Ab dann geht es in puncto Gefühle drunter und drüber. Zunächst wird Sennes Spielführer Malte Gruner von seinem Gegenspieler in Folge eines Foulspiels, mit dem beide Akteure nichts zu tun haben, feige von der Seite angespuckt. Aufgebracht eilt der Senner Spielführer zum Unparteiischen, der wiederum nichts von der Szene mitbekommen haben will. Im Anschluss lässt sich Gruner (verständlicherweise) nicht beruhigen und zu einem Spruch dem Unpaarteiischen gegenüber hinreißen. Die Folge: Rote Karte, Platzverweis. Senne spielt die letzten 30 Minuten in Unterzahl und muss sich defensiv neu ordnen. Die Einwechselungen von Timon Finger und Simon Czernia sollen für Entlastung auf dem Weg in Richtung Türk Sports Tor sorgen.
Nur fünf Minuten später bekommen die Gastgeber ein Geschenk des Unparteiischen. Ein Angriff, der über die offene rechte Seite vorgetragen wird, endet mit einem frontalen Zusammenstoß von Türk Sports Rechtsaußen und Sennes Stefan Dopheide im Senner Strafraum. Zum Unverständnis der in blau gekleideten Akteure entscheidet der Referee auf Strafstoß für den Primus. In der Nachbetrachtung muss man sagen, dass die Gerechtigkeit am Ende doch noch gesiegt hat. Der Spielertrainer der Gäste läuft an und schiebt den Ball zu lässig in die rechte untere Ecke, wo Sennes Schnapper Felix Winkler wartet und das Leder entschärfen kann – es bleibt beim 0:0!
Eine Viertelstunde vor Schluss ist es dann ein unnötiger Ballverlust in Sennes zentraler Hintermannschaft, der den Gästen die 1:0-Führung ermöglicht. Ausgerechnet Gian-Luca Linstromberg, der die Defensive in den vergangenen Wochen vorbildlich zusammenhielt, vertändelt den Ball vor dem eigenen 16er. Türk Sports Stürmer spritzt dazwischen, leitet den Ball direkt nach links weiter, wo der Spielführer des Spitzenreiters wartet und den Ball im eins gegen eins über den bereits am Boden liegenden Winkler einlupfen kann.
Während dem Primus mit der knappen Führung in numerischer Überzahl offensiv nur wenig einfällt, agiert der Waldbadexpress fortan nach dem Motto „Jetzt erst Recht!“. In den verbleibenden 15 Minuten peitschen sich die Senner Kicker offensiv und defensiv verbal und fußballerisch zu einem unfassbaren Endspurt. Die Hausherren schaffen es tatsächlich noch einmal sich aufzubäumen und den einen Mann weniger nahezu vergessen zu machen. Jeder Akteur packt noch einmal einige Prozentpunkte auf die eh schon 110% oben drauf und drückt im Kollektiv auf den Ausgleich. Alles in die Waagschale werfend rollt in der Nachspielzeit ein letzter Angriff über die rechte Senner Seite. Tief in der gegnerischen Hälfte wird der Ball scharf vor das Tor gebracht, wo ausgerechnet Gian-Luca Linstromberg, der vor dem Gegentor einen für ihn untypischen Fehler begang, zum 1:1-Ausgleich einköpfen kann – der Jubel kennt keine Grenzen, Wahnsinn! Zwei Minuten und eine weitere Ecke der Gäste später setzt der Schiedsrichter einen Schlussstrich unter diese Begegnung.
Aus aktiver Sicht fällt es schwer ein sachliches Fazit aus dieser physisch und psychisch unfassbar fordernden Begegnung zu ziehen. Im Endeffekt war es nur ein weiteres Ligaspiel und ein weiterer Punkt gegen den Abstieg. Im Endeffekt hat dieses Ergebnis wohl keinen entscheidenden Einfluss auf das Abschneiden am Ende der Spielzeit. Dennoch zeigt die Leistung und der damit einhergehende Spielverlauf ein weiteres Mal, zu was wir in der Lage sind. Diese 90 Minuten, in denen wir der wohl spielerisch stärksten Mannschaft der Liga mit den Grundtugenden das Leben so verdammt unangenehm und schwer wie nur irgend möglich gemacht haben, müssen uns für die kommenden Aufgaben pushen. Zur Zeit macht es einfach Riesenfreude mit jedem einzelnen auf dem Platz zu stehen und Woche für Woche für das eigene Ziel zu kämpfen.